Last-Minute-Hörbuch-Empfehlung
Du bist noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk auf den letzten Drücker? In diesem Artikel findest du meine Last-Minute-Hörbuch-Empfehlung für Weihnachten
von Renate Naber
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Daniel Kehlmann, bereits international bekannt durch seinen Roman “Die Vermessung der Welt”, hat sich dieses Mal eine berühmte Figur der deutschen Geschichtenlandschaft vorgenommen: Till Eulenspiegel.
Für
alle von euch, die Till Eulenspiegel bisher nicht kennen: Der Alleskönner und Possenreißer findet sich immer wieder in verzwickten Abenteuern, in denen er berühmten Personen begegnet und durch
Charme und Klugheit dem Schicksal ein Schnippchen schlägt.
Der bereits seit dem Mittelalter bekannte, freche Gaukler geistert in Kehlmanns Roman durch das 17. Jahrhundert in der Epoche des 30jährigen Krieges. Dabei schafft der Autor es gekonnt, Menschen und historische Zusammenhänge zum Leben zu erwecken, ohne in langatmige Details zu verfallen.
Worum geht es?
Der abgesetzte "Winterkönig", Pfalzgraf Friedrich V., eine historisch reale Persönlichkeit, hatte dem Angebot nicht widerstehen können, König von Böhmen zu werden. Einen Winter lang war er es auch.
Doch mit seiner Entscheidung löst er letztlich den Dreißigjährigen Krieg aus, der ganz Europa von 1618 bis 1648 ins Elend stürzt. Vor diesem Hintergrund zeichnet Kehlmann in historisch fundierten Geschichten lebenspralle, sinnliche Miniaturen, die das Leben der damaligen Epoche spiegeln.
Als Hörer folgen wir Till Eulenspiegel, durch eine von Krieg und Aberglauben aus den Fugen geratenen Welt, in der ein Menschenleben nur wenig zählt.
Kehlmanns Tyll Ulenspiegel ist ein vielschichtiger Charakter, klug, manchmal ängstlich, manchmal auch böswillig. Und er ist ein Überlebenskünstler, der so ziemlich alles kann: Bauchreden, freche Sprüche klopfen, Seiltanzen, Jonglieren und Schauspielern.
Was macht das Hörbuch für Kreative interessant?
Vor dem Hintergrund des 30jährigen Krieges vagabundiert Till Eulenspiegel durch das zerstörte Europa. In Sagen und Mythen ist die Figur des Till Eulenspiegel häufig im 14. und 15. Jahrhundert angesiedelt. Mit der Platzierung dieser genialen und zwiespältigen Figur ins 17. Jahrhundert ist Daniel Kehlmann ein gut funktionierender literarischer Kniff gelungen.
Wie er in einem Interview sagte, brauchte er in seinem Roman die Figur eines Erzählers, der sich problemlos durch alle Schichten bewegen und mit allen Menschen, vom einfachen Tagelöhner bis zum Kaiser, kommunizieren kann. So ist Kehlmann auf den Narren gekommen. Sein Tyll hat zu allen Zugang. Bei Hofe genauso wie beim einfachen Volk.
Durch diesen Kniff erhalten wir Einblick in alle Schichten und kommen in Kontakt mit historischen Persönlichkeiten. Nicht nur für Fans von historischen Romanen eine echte Empfehlung.
Im Gegenteil, die bildreiche und mit viel Humor gespickte Erzählung brachte mich beim Hören immer wieder zum Lächeln, ohne dabei albern zu werden.
Immer wieder überraschend sind die Wendungen in Kehlmanns Geschichte, besonders dann, wenn gekonnt das Schreckliche mit dem Komischen verwoben ist.
Was in Buchform bereits ausgezeichnet funktioniert, hat als Hörbuch eine wirklich angenehme Steigerung erfahren. Das Buch ist von Schauspieler Ulrich Noethen eingelesen, der den Erzählton des Buches genau trifft und den Hörer virtuos durch diese Mischung aus historischem und Schelmenroman führt.
Das Hörbuch ist wie die Romanvorlage eine gelungene Komposition aus Fakten und Fiktion. Daniel Kehlmanns Figuren sind in ihrer Entwicklung überzeugend gezeichnet, die Erzählstränge stimmig miteinander verknüpft, nie verliert sich ein Handlungsfaden oder eine Figur im Nirgendwo.
So behält der Hörer stets die Orientierung und kann, sicher geführt von Ulrich Noethens Erzählerstimme, eine buntschillernde, gruselige und wirklich phantastische Reise in die europäische Vergangenheit genießen.
Literaturangaben:
Daniel Kehlmann: Tyll, gelesen von Ulrich Noethen, Argon Verlag, 9 Audio-CDs
Ungekürzte Ausgabe, 676 Min., 21,95 Euro
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