Beim Schreiben ist der erste Schritt der schwierigste. Der Weg zum ersten Entwurf wirkt oft wie ein unüberwindbares Hindernis. Wie der Beginn einer langen Bergwanderung, mit zuviel Gepäck und durch schier unbezwingbares Gelände.
Jeder Kreativen, die seit langem an ein- und demselben Manuskript arbeitet, stehen hunderte Schreibwillige gegenüber, die noch nicht einmal diesen ersten Schritt geschafft und angefangen haben.
Wenn wir auf die berühmten Autoren und Autorinnen schauen, die scheinbar mühelos ein 500-Seiten Buch nach dem anderen in die Regale der Buchhandlungen befördern, könnte man leicht den Mut verlieren.
Wie kann es sein, dass es anderen so einfach aus der Feder fließt? Könnte es vielleicht sein, dass viele Kreative ihren ersten Entwurf so kritisch betrachten, dass es ihnen unglaublich schwer fällt, den ersten und wichtigsten Schritt zu machen?
Wenn das so ist, gibt es einen anderen Blickwinkel?
Gut, dass du fragst.
5 Fakten, die du beim Schreiben deines ersten Entwurfs beachten solltest
von Renate Naber
1. Es wird schwierig
Es geht nicht ums Verbessern oder Anpassen, sondern etwas Neues aus dem Nichts zu erschaffen. Selbst wenn du den Inhalt in der zweiten Version komplett veränderst, dann arbeitest du an etwas, das bereits existiert.
Bei deinem ersten Entwurf gibt es nur deine Vorstellungskraft und die Aufgabe, diese in eine bestimmte Form zu bringen. Und das ist eine Herausforderung, der auch die besten Autoren bei ihren ersten Entwürfen begegnen:
Wenn ich schreibe, fühle ich mich wie ein armloser, beinloser Mann mit einem Wachsmalstift zwischen den Zähnen.
Kurt Vonnegut
Du bist also nicht allein. Und das Beste ist, dass du dieser Herausforderung nur einmal begegnen musst, denn danach hast du eine Sammlung Rohmaterial, an der du dich orientieren kannst.
Mit jedem Satz, den du schreibst, wird der Inhalt deines Manuskriptes realer und damit wird es einfacher, damit weiter zu arbeiten. Mit anderen Worten: Je mehr du schreibst, desto einfacher wird es, auch wenn der Inhalt (noch) schlecht geschrieben ist.
2. Es wird (wahrscheinlich) nicht gut
Deine Vorstellung in eine bestimmte Form zu bringen, ist schwierig genug. Das ganze beim ersten Versuch direkt in druckreife Form zu gießen, ist unmöglich.
Der erste Entwurf von allem ist Sc*****e.
Ernest Hemingway
Egal, wie lange du schon schreibst oder wie gut du darin bist, der erste Entwurf ist wie das Füllen weißer Flecken auf der Karte. Du weißt nicht, was dich erwartet.
Ernest Hemingway ist hier ein gutes Beispiel für sein eigenes Zitat. Sein Buch "In einem anderen Land" hat 47 (!) verschiedene Enden, die es nicht in das fertige Buch geschafft haben.
In den Entwürfen, die sich mittlerweile in der JFK Bibliothek befinden, zeigt sich, wie er die letzten Szenen immer wieder neuschrieb, um das richtige Ende zu finden.
Wenn dich bei deinem ersten Entwurf der Anspruch begleitet im ersten Anlauf die optimale Route zu finden, stehen deine Chancen schlecht. In diesem Stadium wird dich Perfektionismus entweder lähmen oder im Dschungel deines Wortwaldes verirren lassen. Die gute Nachricht ist:
3. Es braucht nicht gut zu sein
Gute Manuskripte entstehen im Laufe mehrerer Entwürfe. Manchmal braucht es dutzende Überarbeitungen, um den Kern deines Manuskriptes heraus zu schälen. Du wirst experimentieren, Aspekte hinzufügen, Nebenstränge löschen. Niemand, nicht einmal die besten Autoren, kann das im Kopf.
Der erste Entwurf ist deshalb nicht für deine Leser, sondern für dich.
Im ersten Entwurf versuchst du einfach, dir selbst die Geschichte zu erzählen.
Terry Pratchett
Ungeschickte Formulierungen werden dich nur ermutigen, im nächsten Entwurf besser zu schreiben. Löcher im Plot, eindimensionale Figuren, Klischees - alles keine Probleme an diesem Punkt, denn:
4. Der erste Entwurf sollte schnell geschrieben sein
Wahrscheinlich ist dein erster Entwurf nicht gut, aber das kann dir genau den Antrieb geben, den du brauchst, um dich schnell hindurch zu arbeiten. Viele Kreative unterschätzen am Anfang, wie zusammengeschustert ein erster Entwurf sein darf.
Du möchtest deine Figur von hier nach dort bringen, weißt aber noch nicht, wie die Figur dort hinkommt? Setze sie einfach an die Stelle und mach dir später Gedanken über den Übergang.
Wenn du an deinem ersten Entwurf arbeitest, ist das wichtigste voranzukommen.
Ich glaube der erste Entwurf eines Buches, selbst eines dicken, sollte nicht mehr als drei Monate dauern. Wenn es länger dauert, dann fängt die Geschichte zumindest für mich an, sich merkwürdig fremd anzufühlen.
Stephen King
Lass dich nicht von schwierigen Passagen aufhalten, wenn du in der gleichen Zeit zwei weitere schreiben kannst, die dir leichter fallen.
Es kann sehr reizvoll sein, sich zu lange mit deinem ersten Entwurf aufzuhalten. Das kann für deine Kreativität allerdings gefährlich werden. Schwierige Kapitel können dich so frustrieren, dass du deinen Entwurf immer wieder nur da verbesserst, wo es dir leicht fällt.
Was sich zunächst einmal gut anfühlt (immerhin kommst du voran!), entpuppt sich auf lange Sicht als alptraumhafte Endlosschleife.
5. Du kannst es
Du wirst später alles, was du an deinem ersten Entwurf nicht magst, verändern und verbessern. Bis du deinen ersten Entwurf tatsächlich abgeschlossen hast, erlaube dir nicht, daran zu feilen. Es macht doch wenig Sinn, sich zu lange mit etwas aufzuhalten, das du später in aller Ruhe überarbeiten kannst.
Alle Autoren und Autorinnen, selbst die besten, kämpfen mit ihren ersten Entwürfen.
Die gute Nachricht ist: Wenn dieser erste Entwurf nicht gut sein muss, ist alles, was du für diesen großen Schritt brauchst, eine gute Portion Durchhaltevermögen.
Schreib schnell, halte dich davon ab, dich zu sehr mit dem Entwurf ins Detail zu gehen. Lies nicht ständig, was du gerade geschrieben hast, sondern schreib.
Denn: Du hast dir das Gefühl, ein fertiges Manuskript vor dir zu haben, wirklich verdient.
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